Freitag, 17. August 2012

Herzensbrücke Leseprobe


1. Tag

Die ganze Nacht hatte ich mich in meinem Bett hin und hergewälzt, doch nun war es soweit. Endlich hatte ich einen Entschluss gefasst.
Ich hatte beschlossen heute eine Antwort auf meine Frage zu finden. So lange schon wollte ich es wissen, wissen, wer ich denn wirklich war.

Zuvor hatte ich mir bereits jede Menge Bücher gesucht, auch hatte ich probiert Menschen zu finden, die mir vielleicht weiter helfen konnten. Doch all das hatte mir nicht viel genützt.
Diesmal entschloss ich mich für eine andere Art der Suche, diesmal beschloss ich meine sicheren vier Wände zu verlassen.
Das war etwas, das mir sehr schwer fiel, meine vermeintliche Sicherheit, meine Gewohntheiten zu verlassen und den Schritt nach draußen zu wagen, ins Unbekannte, ins Unerwartete.
Ich wollte vertrauen lernen indem ich endlich mutig war, etwas wagte.

Meine Knie zitterten. Ich fühlte mich nicht wohl, ich fühlte mich in diesem Moment auch alles andere als mutig.
Ich hatte keine Vorstellung davon, was auf mich zukommen würde, ich war unsicher.
Jedoch war mein Beschluss bereits gefasst. Diesen wollte ich nun durchführen, koste es was es wolle.

***
Mit zitternden Händen und klopfendem Herzen zog ich meine Schuhe an, nahm mir meine Jacke, meinen Rucksack der nur mit wenigen Dingen gefüllt war, denn ich dachte mir, dass ich nicht lange wegbleiben würde. Es würde genügen ein wenig zu essen und zu trinken mitzunehmen, zwei T-Shirts zum Wechseln und einen warmen Pullover sollte es später etwas kühler werden.

Ich überlegte mir, dass ich die Straße in Richtung Süden nehmen könnte. Dort gab es einigermaßen unwegsames Gelände und einen Wald. Später führte der Weg in die Berge.
Ich nahm mir vor einfach so weit zu gehen, wie ich kam. Ich würde vermutlich gegen Abend zurück sein. Obwohl, so überlegte ich weiter, es nicht so schlimm wäre, würde ich mir dort in der Nähe eine Pension zum Übernachten suchen, da ich sowieso drei Wochen Urlaub hatte. Drei Wochen in denen ich mir ansonsten nichts weiter vorgenommen hatte.
So entschloss ich mich vorsichtshalber doch zusätzlich mein Toilettezeug einzupacken.

Für einen Moment war sie wieder da, die Angst in mir. Sie wollte mir erzählen, dass ich doch auch einfach hier bleiben konnte.
Doch ich hatte genug von der ewigen Stille in meinen vier Wänden, wo ein Tag sich an den anderen reihte und nicht viel passierte. Alles war so vorhersehbar geworden, langweilig. Ich drohte zu ersticken, bekam einfach keine Luft mehr.

Seit Tagen kribbelte es mich in den Gliedern. Jetzt endlich hatte ich mich dazu aufgerafft, wenigstens ein Stückchen ins Unbekannte zu wandern. Ohne wirklichen Plan wohin genau oder wie lange ich fort bleiben würde.
Ich setzte mich tapfer gegen meine Angst durch und schloss die Tür hinter mir.

***
Endlich auf der Straße spazierte ich nun fröhlich dahin. Ich atmete die frische, noch kühle Frühlingsluft ein und konnte endlich durchatmen. Es war als hätte ich Tonnen an Gewicht von mir abgesteift und in meiner Wohnung zurückgelassen.
Ich summte ein Liedchen vor mich hin.
„Komisch, dass ich jetzt auf einmal so gut gelaunt bin“, wunderte ich mich über mich selbst.
„Es wird wohl daran liegen, dass ich nun nicht mehr zu Hause sitze und ständig über diese Fragen nachdenke.
Seit so langer Zeit dachte ich darüber nach, wie es sich wohl anfühlen könnte, tiefes Vertrauen zu empfinden, weil ich wusste, wer ich wirklich war. Jedoch bislang hatte ich darauf nie eine Antwort gefunden.
Wie viele Menschen hatte ich beobachtet, um zu entdecken, ob sie dieses Vertrauen in sich selbst gefunden hätten, um von ihnen zu lernen, doch kam es mir nie vor, als hätten sie es selbst entdeckt.
Sie hatten alle so viel Angst, vor so vielen Dingen, genau wie ich. Wie sollten sie mir erklären können, was Vertrauen bedeutete, wenn sie sich doch genauso fürchteten wie ich?“

Aber heute freute ich mich so sehr. Endlich nahm ich diese Fragerei, ohne je eine Antwort zu finden, nicht mehr länger hin. Heute machte ich mich auf den Weg, um meine Antwort zu suchen und ich wollte sie finden - unbedingt.

***
Das Wetter war so wunderbar, die Vögel sangen, die Natur war kürzlich erst zu neuem Leben erwacht. Die noch zarten Pflänzchen reckten ihre Köpfe aus dem feuchten Erdboden.

Es war ein langer kalter Winter gewesen, doch nun schien die Zeit des Ruhens endlich vorbei zu sein. Der Schnee war bereits seit etwa drei Wochen vom Regen weggespült worden. Die Sonne wärmte auch schon recht kräftig, ungewöhnlich kräftig. Wenn auch der Wind noch ordentlich frisch war.
Ich zog meine Jacke zu, um mich vor dem Wind zu schützen.
Das Wetter passte wunderbar zu meinem Neubeginn. Genau wie die Natur jetzt erneut zu neuem  Leben erwachte, würde ich nun endlich meinen Entschluss in die Tat umsetzen.

***
„Wie willst du denn etwas im Kopf begreifen können, das nur dein Herz verstehen kann?“, tönte ein hell klingendes Stimmchen.
Wie versteinert blieb ich stehen: „Wer hat das gesagt?“
Ich drehte mich um. Ich sah zwei spielende Kinder, sie spielten Fangen und eines, der Junge, war gerade lachend hinter einem Baum verschwunden. Das Mädchen stand nicht weit von mir entfernt und sah mich fragend an.
Sie wiederholte ihre Frage: „Wie willst du etwas im Kopf begreifen können, was du nur im Herzen verstehen kannst?“
„Wieso fragst du mich das?“, ich war verwirrt, sie konnte unmöglich meine Gedanken erraten haben.
Sie war doch nur ein kleines Kind, was hätte sie von den Fragen wissen können, die mich schon so lange beschäftigten?
„Na, ich sehe doch, dass du eine Frage auf dem Herzen hast, ich kann dein Herz spüren!“
Ich starrte sie ungläubig an. Das konnte doch unmöglich wahr sein, wie sollte sie in meinem Herzen etwas lesen können.
Doch sie sprach weiter: „Ich höre dein Herz, aber du hörst ihm nicht zu, deshalb ist es traurig. Aber auch ein bisschen glücklich, weil du heute angefangen hast.“
„Was habe ich denn angefangen?“
„Etwas zu entdecken!“, rief sie noch, ehe sie sich umdrehte und hinter dem Jungen herlief.

Beginn Herzenbrücke
Roman
von Eva-Maria Eleni

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